Über namenlose Strände, eine geplatzte Karriere als Bankkaufmann und Stefan Zweig. Chris Zitta hat ein Soloalbum fertiggestellt. „Gestern war gestern“ heisst sein Erstlingswerk und es ist samt und sonders aus eigener Feder entsprungen. Wie macht man sowas? Wie schreibt, textet, komponiert man ein ganzes Album, produziert es noch dazu teilweise in den eigenen 4 Wänden und schafft es Qualität zu liefern, die wir seit der – Gott hab sie selig – goldenen Ära des Austropop’s nicht mehr gehört haben?


Chris Zitta kann das. In seiner Wohnung im 18ten Bezirk riecht es nach Musik und der grossen, weiten, asiatischen Welt. An den Wänden Akustikpaneele, dazwischen hängen Gitarren, der Fernseher ist nur noch Attrappe. Nicht einmal angesteckt. Hier wird gelebt, gearbeitet, musiziert, gelesen, geschrieben, gekocht. Asiatisch, scharf, versteht sich. Dass er gerne nach Thailand reist, bzw. dort eigentlich seit vielen Jahren jeden Winter verbringt, verrät die Einrichtung. Bunte Pölster, wunderschönes Tuch, dunkles, exotisches Holz, Accessoires aus Indochina – Chris Zitta fühlt sich hier wohl. Er dreht sich eine Zigarrette, setzt sich standesgemäß zu seinem Totenkopfaschenbecher und erzählt.

Ursprünglich war ihm eine Karriere als Bankkaufmann vorbestimmt. Muttern war die Assistentin eines der schillernsten Figuren der heimischen Banker-Szene der 80ger – Dr. Schmidt-Chiari. Der Bub sollte schließlich was ‚gscheits’ lernen. Eine Karriere in Hemd mit gestärktem Kragen, Krawatte, Bundfaltenhose und adrettem Haarschnitt? Mitnichten.

Die Liebe zur Musik kommt von seinem Vater. Der ihm als grosser Plattenboss der Ariola, Bellaphon und später dann Warner-Music die Türen zu einer ganzen Welt aus Vinyl eröffnete. Pressfrisch, druckfrisch, Erstpressungen, Besonderheiten von A(mbros) bis Z(appa). Der kleine Chris durfte sich bei jedem Bürobesuch was aussuchen. Auch wenn er noch keine Ahnung hatte und die Vinyls ausschliesslich nach dem Coverartwork griff, so fiel ihm doch zur rechten Zeit eine Maxi-Single in die Hände: AC/DC „Touch toomuch“.

Harte Stromgitarren, noch nie gehörte Riffs, unfassbarer Sound – dem damals erst 6jährigen ist klar – das will ich. DAS ist es. Er lernt Gitarre spielen. Seine ältere Schwester verpasst ihm kurze Zeit später den nächsten Heureka Moment – Iron Maiden. Und so kommt Chris zu einer spannenden Mischung auf seinen selbstgebastelten Kassetten – Giganten des Rock gemischt mit Wolfgang Ambros und Ludwig Hirsch. Dunkelgraue Lieder und Zentralfriedhof. Rock vom Daddy und Austropop von Mum. Jetzt wird einiges klarer.

Sein Gitarrenlehrer verzweifelt als ihm der kleine Rock’n’Roller bittet ihm alles beizubringen was auch Angus Young so kann. So muss er sich mühsam die Riffs raushören, sie versuchen nachzuspielen. Youtube, Spotify oder überhaupt Internet – gab’s noch lange nicht. Erst etliche Jahre später sollte er auf Milan Polak treffen, der ihm schlussendlich in die hohe Kunst der Stromgitarre einführte.

Was wird aus dem Bankkaufmann? Die Karriere endet, bevor sie beginnt, als Chris kurz vor Abschluss seiner Lehre mit drei anderen Jungmenschen gemeinsam einfach beschliesst abzuhau’n. Mit 15! Gemeinsam mit seinem besten Freund, seiner Schwester, und deren besten Freundin beschliesst der Revoluzzer Trupp einst beim Mittagessen, dass dies doch nicht der Weg sein kann. Sparbücher werden geplündert und man fährt schnurstracks zum Flughafen. Raus in die Welt. Ohne irgendjemanden aus der Erwachsenenwelt zu informieren. Destination: New York. Amerika, das gelobte Land. Wo ein Wille, da leider doch kein Weg, denn damals schon wollten die Behörden ein Visum sehen, also schwenkt man kurzerhand um und nimmt den nächstbesten Flug nach – Barbados. Die Vier schaffen es tatsächlich bis in die Karibik. Hätte nicht ein besorgter Elternteil mittlerweile schon die Interpol verständigt, um die Kids suchen zu lassen, wäre die Einreise vielleicht sogar geglückt. Hat sie aber nicht. Der Trupp wird zurück auf den nächsten Flieger retour verfrachtet, schafft es nochmal kurz bei einer Zwischenlandung in Santa Lucia abzuhau’n, wird aber von einer grinsenden Militärstreife gefasst und wieder in das Flugzeug nach Hause gestopft. Eine wilde Geschichte, Chris’ Augen funkeln als er sie erzählt. Das ist Freiheit, das ist Rock’n’Roll. Wieder zuhause angekommen gibt’s selbstredend Schelte – bis rauf zum Generaldirektor der Bankanstalt. Zumindest wird dem kühnen Ausreißer noch gewährt, seinen Lehrabschluss in der Bank zu vollenden. In Jeans, Turnschuhen, T-Shirt und mit viel zu langen Haaren. Das war’s dann aber auch schon mit dem seriösen Leben, am Tag seines Abschlusses bricht Zitta Junior auf nach Indochina, wo sein Vater mittlerweile Chef der Warner-Music Malaysia war.

Selbstfindung. Rausfinden was man will. Seinen Platz finden. Was blieb über von der Bank? Nur eines hat er für sein Leben gelernt und hält sich eisern dran – „Mach niemals Schulden“. Ein Insider muss es wissen…

Seinen 18ten Geburtstag feiert er in Bangkok. Aus den Plänen, vielleicht in Bali eine Strandbar zu eröffnen wird dann doch nichts und so kehrt Chris zurück nach Wien um am American Institute of Musik in Ottakring Musik zu studieren. Gitarre. Mit Lehrern wie „Paul Hanson“, „Les Wise“ und „Heinz Neuböck“.  Im Anschluss zieht es ihn knapp zwei Jahre nach Malaysia um am dortigen SAE Institute seinen Tonmeister zu machen.

Wie kam’s zu Alkbottle? Die nächste Zigarette wird gerollt und man erinnert sich. An den einen Sonntag, als die Familie in der Wiener Burggasse, über dem Cafe „Zipp“ zu Tisch sitzt und ein gewisser Roman Gregory anruft und frägt, ob der Gitarrist Chris Zitta tatsächlich nach einer Band suchte. Man trifft sich im Wiener „Tunnel“, trinkt Spritzer und fixiert die Gründung der Band „Alkbottle“. Österreichische Musikgeschichte wird in seeliger Weissweinlaune geschrieben. So mögen wir das. Der Rest ist – wie man so schön sagt – Geschichte.

Heute ist Chris Zitta erwachsen geworden. Hat sein kleines Schrebergartenhäuschen am Rande des Wienerwaldes, und verbringt jeden Winter in Thailand. Auf einer namenlosen Insel, an einem kilometerlangem Strand, fernab der Zivilisation in einem bescheidenen Bungalow. Strom gibts nur am Abend aus dem Dieselgenerator. Handyempfang?  Gibts keinen. Maximal am Hafen, und das ist von Jahr zu Jahr verschieden, erzählt er.

Auf der Insel hat sich über die Jahre eine Kommune gebildet, Musiker, Künstler, Autoren, Kreative, die sich alle Jahre wieder treffen um sich zu inspirieren und um vollständig entschleunigt von der Muse geküsst zu werden. Engländer, Franzosen, Deutsche, Kanadier, Japaner – es ist ein buntes Völkchen. Jeden Dienstag, Freitag und Sonntag finden Open Stage Sessions statt. Es wird nach Herzenslust gejammed, jeder der will darf. Bier, gute Laune, Freiheit und Gipsy Jazz.

Chris’ Steckenpferd und Lebensunterhalt auf einem Eiland wo jeder Tag dem anderen gleicht. „So kann man zumindest ein paar Wochentage auseinanderhalten“, lacht er.

Was man sonst so macht an einem Ort, an dem die Zeit in den 70gern stehengeblieben scheint, ohne Massentourismus, ohne Supermarkt, ohne Autos und ohne Stromversorgung,  ausser die schlichte Einfachheit des Lebens in sich aufzusaugen? Zeichnen. Lesen. Musizieren. Schreiben. Zum Beispiel Songs für ein Album. Zum Beispiel die Songs für das sehr autobiographische Album: „Gestern war gestern“.

13 Titel sind fertig. Handgemacht, echte Instrumente, wahrhaftige Texte, eine grossartige Produktion. Chris Zitta hat sich enwickelt und mit Gästen und hochkarätigen Musikern wie Ulli Bäer, Rue Kostron, Alexander Schuster, Milan Polak, Andie Gabauer, Roman Gregory, Leo Luca Bei, Hannes Bartsch, Oliver Varga, Thomas Hojsa, Peter Müller und Dietmar Baumgartner, ein Album feinster Güte hingelegt.

Absichtlich und geplanterweise? Beinahe. Entstanden ist die Idee, tatsächlich ein Album aufzunehmen, auf Drängen des Publikums während der Stadtbahnbögen-Sessions hin. Die Titel seien zu gut, um sie einfach nur „zu jammen“ mit anderen. Ein volles Jahr dauerte die Fertigstellung in Eigenregie. Plattenfirmen zeigten kein Interesse, was Chris allerdings nicht sonderlich wundert. In der schnelllebigen Zeit der Streaming-Eintagsfliegen hat eben keiner mehr richtig den Nerv und die Zeit in etwas mit Qualität, Aussage, Anspruch und vor allem mit Bestand zu investieren.

Was sagt eigentlich seine 19jährige Tochter zu all dem, zum allerersten Soloalbum des musikalischen Alkbottle Masterminds und Gitarristen? Nichts sagt sie dazu, sie kann nicht, weil sie gerade Asien bereist. Selbstfindung. Rausfinden was sie will. Ihren Platz finden.

Was soll man dazu sagen?
Ganz der Herr Papa eben.